Marta Popivoda, Landscapes of Resistance, 2021, 4K, Farbe, Stereoton, 95 min., Monument von Vera Blagojević, Belgrad, Bildhauerin: Vida Jocić, 1958.

Transgenerationale Erinnerungen

Für die Untersuchung transgenerationaler Erinnerungspraxen und Übertragungsprozesse in der Kunst spielen zwei Entwicklungen in der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung eine herausragende Rolle. Zu beobachten ist erstens die Ausformung einer gedächtnis- und transgenerational orientierten Generationssemantik, die eine Alternative zum ‹klassischen› soziologischen Generationenbegriff darstellt. Zweitens findet seit den 1990er Jahren eine Europäisierung des kulturellen Gedächtnisses statt, das heisst es passiert nach und nach eine strukturelle Angleichung ‹ost-› und ‹westeuropäischer› Geschichtsbilder an gesamteuropäische und kosmopolitische Bezüge.
Seit das Konzept der «Postmemory» (frz. postmémoire) der Literaturwissenschaftlerin Marianne Hirsch für die Übertragung von traumatischen Erinnerungen an Nachfolgegenerationen Verbreitung fand, sind generationale Selbstverständnisse nicht zuletzt auch von inter- und transgenerationalen Übertragungen mitgeprägt. Im Kontext des Themenfelds Transgenerationale Erinnerungen soll das Konzept der «Postmemory» aus dem Holocaust- und familiär verfassten Kontext gelöst und mit der größten Herausforderung gegenwärtiger Gedächtnisforschung verknüpft werden: der verstärkt kosmopolitischen, aber auch selektiven Erinnerung an den Kalten Krieg, die sich zunehmend intermedial und in digitalen Genres manifestiert. Fragen, die im Zusammenhang künstlerisch-historiografischer Praktiken relevant werden, sind: Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen hegemonialen Geschichtsbildern und künstlerischen Arbeiten, die sogenannte «alternative Gegenwarten» aufzeigen, beschreiben? Was passiert, wenn Geschichten performativ und im Sinne einer «digitalen Erinnerung» inszeniert statt rekonstruiert werden? Auf welche Weise bilden sich transgenerationale Dialoge in der konzeptuellen Struktur historiografischer Arbeiten ab?

Marianne Hirsch, The Generation of Postmemory. Writing and Visual Culture after the Holocaust, New York: Columbia University Press 2012.

Albena Hranova, «‹Loan Memory›. Communism and the Youngest Generation», in: Maria Todorova/Augusta Dimou/Stefan Troebst (Hg.), Remembering Communism. Private and Public Recollections of Lived Experience in Southeast Europe, Budapest/New York: Central European University Press 2014, S. 233 – 250.

Homay King, Virtual Memory. Time-Based Art and the Dream of Digitality, Durham and London: Duke University Press 2015.

Daniel Levy/Natan Sznaider, Erinnerung im globalen Zeitalter, Berlin: Suhrkamp 2007.

Ljiljana Radonić/Heidemarie Uhl (Hg.), Gedächtnis im 21. Jahrhundert. Zur Neuverhandlung eines kulturwissenschaftlichen Leitbegriffs, Bielefeld: transcript 2016.

Workshop: Transgenerationale Korpografien der Erinnerung

18. November 2021, 14:30–18:30 Uhr; 19. November 2021, 9:00–17:00 Uhr

Transgenerationale Korpografien der Erinnerung ist ein Workshop zur bildenden Kunst und Geschichte, der von zwei audiovisuellen künstlerischen Arbeiten ausgeht, um die Dimensionen und Wege der transgenerationalen Erinnerung im Medium des künstlerischen Films zu erkunden. Der Workshop besteht aus zwei Teilen: den Filmvorführungen und einem diskursiven Programm. Die zugrundeliegenden Arbeiten inszenieren europäische, weibliche Biografien des 20. und frühen 21. Jahrhunderts, basierend auf den selbst erzählten Erinnerungen zweier Frauen.

Der Workshop ist triadisch konzipiert, das heisst die Werke werden aus künstlerischer, kunsthistorischer und geschichtswissenschaftlicher Perspektive komplementär analysiert. Ziel dieser transdisziplinären Untersuchung ist die Erforschung transgenerationaler kultureller Gedächtnisarbeit in der zeitgenössischen Kunst mittels intensiver Bildlektüren («close readings»). Die zentralen Fragen sind: Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen Geschichte, generationenübergreifenden Erinnerungen und künstlerischen Geschichtsbildern begreifen? Wie integrieren diese Werke kritische und dissonante historische Stimmen?