Workshop: Archive, Non-Archive, Counter-Archive

Teilnehmer*innen: Knut Ebeling, Melanie Franke, Gil Hochberg, Eva Kernbauer, Armin Linke, Paul Mellenthin, Doreen Mende, Rasha Salti, Melanie Sehgal, Vera Tollmann, Oraib Toukan

→ Kurzbios

Im Rahmen des vom Schweizerischen Nationalfonds in Bern geförderten Forschungsprojekts Geschichtsbilder in der Gegenwartskunst findet der Workshop Archive, Non-Archive, Counter-Archive statt:

6. Oktober 2022, 14:00–21:00 Uhr
7. Oktober 2022, 10:00–14:00 Uhr

Veranstaltungsort
ZeM – Brandenburgisches Zentrum für Medienwissenschaften
Hermann-Elflein-Str. 18
14467 Potsdam

Was zeigen Archive? Der zweitägige Workshop Archive, Non-Archive, Counter-Archive untersucht den Paradigmenwechsel zur Archivkritik in der zeitgenössischen Kunst. Ziel ist es, ausgehend von einem close reading der Werke der Künstler*innen Oraib Toukan und Armin Linke die Wechselbeziehung zwischen epistemischen und archivarischen Praktiken zu untersuchen. Insbesondere wird nach künstlerischen Praktiken gefragt, die verlorenen oder unterdrückten Formen des Wissens zu neuer Sichtbarkeit und Präsenz verhelfen.

Ist Geschichte erst durch das Medium des Archivs möglich? Keine Feststellung könnte so treffend sein – und so falsch zugleich. Denn während Archive positiv gewendet am Anfang von Erinnerung und Geschichte, von Fakten und Wissen stehen, verhindern sie im negativen Sinne das Wissen über die Vergangenheit, indem sie bestimmte Formen privilegieren und andere unterdrücken. Der Workshop zielt daher darauf ab, künstlerische Praktiken zu reflektieren, die sich mit Archiven als epistemische Konfliktzonen und Austragungsorte historischer Semantik auseinandersetzen und ihre Neutralität als Pforten zur Geschichte infrage stellen.

Donnerstag, 6. Oktober 2022
Workshopprogramm

14:00–14:30 Uhr Ankunft
Begrüßung: Melanie Franke (Leitung SNF-Projekt Geschichtsbilder in der Gegenwartskunst) & Paul Mellenthin (Post-doc)

Workshop Panel I: Zooming Out: Archive vs. Non-Archive

In den letzten Jahrzehnten hat Armin Linke aus einer Metaperspektive dokumentiert, was Archive im Allgemeinen ausmacht: physische und digitale Ökonomien, menschliche und Maschinenarbeit, Regelsysteme für Ordnung und Unordnung, Architekturen und so weiter. Seine fotografische Praxis hat, indem sie auf Infrastrukturen herauszoomt, selbst ein immenses Archiv geschaffen, das poststrukturalistische Herangehensweisen zu überprüfen scheint: Wie funktioniert das Archiv? Was ist dessen Rolle? Wer ist zuständig? Und was gehört potenziell der Bildwelt an? Ästhetisch gesehen besteht ein Zusammenhang zwischen der Herausforderung, das Archiv mit visuellen Registern zu erfassen, und Linkes Position in der Diskussion des New Climatic Regime (Bruno Latour). Ausgehend von Prospecting Ocean (2018), einem dreijährigen Forschungsprojekt, das in der gleichnamigen Ausstellung im Istituto di Scienze Marine, Venedig, mündete, wird das Workshop-Panel – die Kunsthistorikerin Eva Kernbauer, der Künstler und Forscher Armin Linke, die Philosophin Melanie Sehgal und die Medienwissenschaftlerin Vera Tollmann – Darstellungstechniken und -konventionen reflektieren, die auf drei wesentlichen Merkmalen von Archivkunst beruhen: Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit und Skalierbarkeit.

Armin Linke, Iron Mountain, Boyers (PA), USA, 2018. Courtesy the artist und Vistamare Milano/Pescara.

© Armin Linke, Iron Mountain, Boyers (PA), USA, 2018. Courtesy the artist und Vistamare Milano/Pescara.

14:30–15:10 Uhr
Armin Linke (Künstler, Berlin)

15:15–15:55 Uhr
Eva Kernbauer (Universität für angewandte Kunst Wien)

16:00–16:40 Uhr
Melanie Sehgal (Bergische Universität Wuppertal)

16:45–17:25 Uhr
Vera Tollmann (Leuphana Universität Lüneburg)

17:30–18:15 Uhr
Diskussion

19:00–20:15 Uhr Öffentliche Keynote
The Archival (Re-)Turn. Über die Wiederkehr der Archivkunst als archival critique

von Knut Ebeling (Kunsthochschule Berlin-Weißensee)

Einführung: Melanie Franke (Universität Potsdam)

Die öffentliche Keynote von Knut Ebeling versucht eine Situierung archivalischer Kunstpraktiken im zeitgenössischen Kunstfeld. Nach der künstlerischen Beschäftigung mit medialen Praktiken der Ablage, Speicherung und Übertragung von Daten, die allgemein unter dem Schlagwort des »archival turn« verhandelt wurde, hat gegenwärtig die Reflexion von deren machttheoretischen und -politischen Effekten zugenommen. Insbesondere vor dem Hintergrund der postkolonialen Theorie und deren medialen Apriori ist die Beschäftigung mit postkolonialen Archiven und die Frage nach Counter- oder gar Non-Archives zentral geworden. Ästhetisch ist dabei eine interessante Verschiebung zu beobachten von der nüchternen Datenästhetik des »archival turn« mit seinem Verzicht auf Narration hin zu narrativen und poetischen, spekulativen und fabulierenden Praktiken des »performing the archive«.

20:15–20:45 Uhr Filmvorführung: Oraib Toukan, When Things Occur, 2017, Einkanal-Video, Farbe, Ton, Arabisch mit englischen Untertiteln, 28’.

Oraib Toukans Videoinstallation When Things Occur (2017) basiert auf einer Reihe von Skype-Gesprächen zwischen der Künstlerin und in Gaza ansässigen Fotograf*innen, Fixierer*innen und Fahrer*innen, deren Bilder im Sommer 2014 zirkulierten. Das Video verweilt im affektiven Raum von Computermonitoren, um in Erfahrung zu bringen, was sich hinter den Pixeln verbirgt, die Gewalt und Zerstörung verkörpern. Die Arbeit untersucht, wie dokumentarische Bilder angesichts von Grausamkeit funktionieren und was »Leid aus der Ferne betrachten« [viewing suffering at a distance] womöglich bedeuten könnte.

21:00 Uhr Apéro

Freitag, 7. Oktober 2022

Workshop Panel II: Zooming In: Counter-Archives and the Politics of History

Oraib Toukan beschäftigt sich mit der Unzulänglichkeit von Darstellungen der Zeitgeschichte. Ihre Arbeiten führen nah an die Materialität von Bildern heran und erforschen Pixel als eine Form des Wissens. Durch die Verlangsamung, das Heranzoomen und das Wiederzusammensetzen von Bildern aus Online-Datenbanken und historischen Filmarchiven sucht sie nach intimen, taktilen Momenten im Archiv als Ort dekolonialen Widerstands. Toukan erinnert uns daran, dass Archivkunst immer unweigerlich auch mit Fragen der Macht verbunden ist: Wer definiert die visuelle Kultur? Wie wird Geschichte vermittelt? Was macht die Gegenwart aus? Und wie können wir sie vervielfältigen? Im Rahmen des Workshop-Panels werden die Nahost-Historikerin Gil Hochberg, die Kunsthistorikerin Doreen Mende, die Kuratorin Rasha Salti und die Künstlerin und Forscherin Oraib Toukan counter-archivarische Praktiken reflektieren, die eine etablierte Form des künstlerischen Widerstands gegen hegemoniale Geschichtsbilder und Strukturen diskursiver Repression darstellen.

Oraib Toukan, When Things Occur, 2017. Einkanal-Video, Farbe, Ton, Arabisch mit englischen Untertiteln, 28’. Courtesy the artist.

© Oraib Toukan, When Things Occur, 2017. Einkanal-Video, Farbe, Ton, Arabisch mit englischen Untertiteln, 28’. Courtesy the artist.

10:00–10:45 Uhr
Oraib Toukan (Künstlerin, Berlin)

10:45–11:25 Uhr
Doreen Mende (Staatliche Kunstsammlungen Dresden/HEAD Genève)

11:30–12:10 Uhr
Rasha Salti (Freischaffende Wissenschaftlerin, Autorin und Kuratorin)

12:15–12:55 Uhr
Gil Hochberg (Columbia University New York)

13:00–13:45 Uhr
Diskussion

13:45–14:00 Uhr
Abschlussdiskussion & Konklusion

Der Workshop ist von Paul Mellenthin und der kunsthistorischen Forschungsgruppe Geschichtsbilder in der Gegenwartskunst organisiert, geleitet von Melanie Franke und finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds.

Die Teammitglieder sind: Christoph Balzar, Alex Bykov, Melanie Franke, Ulrike Gerhardt, Sophie-Marie Gruber, Verena Kittel, Oliver Krätschmer, Luisa Mann und Paul Mellenthin.

Anmeldung
Interessierte melden sich bitte bis zum 5. Oktober 2022 unter der E-Mail-Adresse luisa.renee.mann@uni-potsdam.de für die Teilnahme am Workshop an. Die Teilnehmer*innenzahl ist begrenzt.

Projektwebseite
www.gbgk.ch

Prof. Dr. KNUT EBELING ist Professor für Medientheorie und Ästhetik im Fachgebiet Theorie und Geschichte an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Zahlreiche Publikationen zu zeitgenössischer Theorie, Kunst und Ästhetik, darunter Archivologie. Theorien des Archivs in Philosophie, Medien und Künste (Kulturverlag Kadmos Berlin, 2009) und zusammen mit Georges Didi-Huberman Das Archiv brennt (Kulturverlag Kadmos Berlin, 2007).

Prof. Dr. GIL HOCHBERG ist Ransford-Professorin für Hebräisch, Visual Culture, Vergleichende Literaturwissenschaft und Nahoststudien sowie Vorsitzende des MESAAS (Middle Eastern, South Asian und African Studies) Instituts an der Columbia University. Ihr Buch Becoming Palestine (Duke University Press, 2021) untersucht, wie Künstler*innen, Regisseur*innen, Tänzer*innen und Schriftsteller*innen das Archiv verwenden, um die Zukunft Palästinas zu imaginieren. Das Buch wurde 2022 mit dem renommierten René-Wellek-Preis für das beste Buch in Vergleichender Literaturwissenschaft ausgezeichnet.

Prof. Dr. EVA KERNBAUER ist Professorin für Kunstgeschichte an der Universität für angewandte Kunst Wien. Ihre Forschung konzentriert sich auf die künstlerische Auseinandersetzung mit Geschichte (Art, History, and Anachronic Interventions Since 1990, 2022; Kunstgeschichtlichkeit, 2015). Sie leitete das FWF-geförderte Teamprojekt A Matter of Historicity. Material Practices in Audiovisual Art, an der Schnittstelle von Kunst und Film, mit einem Interesse für die Prägung anderer künstlerischer Praktiken durch Film seit den 1960er Jahren.

ARMIN LINKE ist ein zeitgenössischer Fotograf und Filmemacher. Er arbeitet an einem laufend ergänzten Archiv über das menschliche Leben und die verschiedensten natürlichen und vom Menschen geschaffenen Landschaften. Er dokumentiert Situationen, bei denen die Grenzen zwischen Fiktion und Wahrheit verschwimmen oder unsichtbar werden. Derzeit ist er Gastprofessor an der ISIA, Urbino (IT) und Artist in Residence am KHI Kunsthistorischen Institut in Florenz.

Prof. Dr. DOREEN MENDE ist seit 2021 Leiterin der Abteilung Forschung an den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) und seit 2015 Leiterin und Professorin des forschungsbasierten Masterstudiengangs und PhD-Forums CCC – Critical Curatorial Cybernetic Research Practices – im Visual Arts Department an der Haute école d’art et de design (HEAD) in Genf. Sie arbeitet zu geopolitischen Bedingungen in Bildproduktion und Displayprozessen.

RASHA SALTI ist freischaffende Wissenschaftlerin, Autorin und Kuratorin im Bereich Kunst und Film. In ihren Forschungsprojekten revidiert sie hegemoniale Narrative und reflektiert über die künstlerische Produktion in der arabischen Welt, darunter 2016 die Ausstellung Past Disquiet: Narratives and Ghosts from the Exhibition of International Art for Palestine, 1978, die sie mit Kristine Khouri kuratierte und im Museum of Contemporary Art (MACBA) in Barcelona sowie im Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin ausrichtete.

Dr. MELANIE SEHGAL ist Philosophin mit einem Forschungsschwerpunkt im Bereich der Prozessphilosophie, der Wissenschafts- und Technikstudien, der Geschichte und Historiographie der Philosophie sowie der Ästhetik und den Environmental Humanities. Seit 2021 ist sie Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für Grundlagenforschung zur Philosophiegeschichte (IGP) an der Bergischen Universität Wuppertal. Derzeit arbeitet sie an einer Monographie unter dem Titel The Arts of a New Climatic Regime sowie, gemeinsam mit Alex Wilkie (Goldsmiths), an dem Band More-Than-Human Aesthetics. Rethinking Aesthetics Beyond the Bifurcation of Nature (Bristol University Presse 2023).

Dr. VERA TOLLMANN wurde 2020 mit der Arbeit Sicht von oben. ‹Powers of Ten› und Bildpolitiken der Vertikalität (Spector Books, 2022) promoviert. Seit 2021 ist sie Gastwissenschaftlerin an der Leuphana Universität Lüneburg im Fachgebiet Medien- und Kulturwissenschaften. Ihre Forschungsinteressen liegen in den Politiken der Sichtbarkeit und der Geschichte und den Theorien digitaler Kulturen.

ORAIB TOUKAN ist Künstlerin und Forscherin. Sie hat an der Ruskin School of Art der Universität Oxford in Kunst promoviert. Bis Herbst 2015 war sie Leiterin des Bereichs Kunst und des Studiengangs Medienwissenschaften am Bard College der Al-Quds-Universität in Palästina und Gaststipendiatin an der International Academy of Fine Arts in Ramallah.

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Dank
Sophie-Marie Gruber
Luisa Mann
Fritz Schlüter und ZeM
Lily Wittenburg

Mit freundlicher Unterstützung von