Farbe bekennen?
Über das Ethos der Nachkolorierung historischer Aufnahmen
diskutieren die Kunsthistoriker Peter Geimer, Wolfgang Ullrich (→ Kurzbios) und Oliver Krätschmer (Moderation) im Rahmen des Forschungsprojektes »Geschichtsbilder in der Gegenwartskunst« am:
Freitag, dem 14. Juli 2023
18:00 – 20:00 Uhr
VERANSTALTUNGSORT
Wissenschaftsetage im Bildungsforum
Am Kanal 47
14467 Potsdam
PROGRAMM
Begrüßung und Vorstellung des Forschungsprojektes »Geschichtsbilder in der Gegenwartskunst« – Melanie Franke
Einführung in die Thematik – Oliver Krätschmer
Podiumsdiskussion – Peter Geimer und Wolfgang Ullrich, Oliver Krätschmer (Moderation)
Geschichtlich bedeutsame Fotografien oder Filme sind heute nicht mehr unweigerlich schwarz-weiß. Denn Farbaufnahmen, die sich in den 1930er-Jahren zu verbreiten begannen, finden als historische Zeugnisse zunehmend Eingang in die Archive. In jüngster Zeit scheint sich zudem die digitale Nachkolorierung von Schwarz-Weiß-Fotografien und -Filmen zu etablieren. So stellen etwa die Künstlerin Marina Amaral und der Historiker Dan Jones mit dem 2018 erschienenen Band Die Welt von gestern in Farbe gleich eine »neue Geschichte« in Aussicht, die »der ausgeblichenen Vergangenheit farbliche Brillanz« zurückgäbe. Auch für den Dokumentarfilm They Shall Not Grow Old, mit dem Peter Jackson vom Imperial War Museum anlässlich des hundertsten Jahrestages zum Ende des Ersten Weltkriegs beauftragt worden war, wurden Aufnahmen der Westfront nicht nur restauriert, sondern zudem mit Farbe und Ton versehen.
MARINA AMARAL, Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto, 2018, digital nachkolorierte Fotografie, © Marina Amaral.
Zwar wird das historische Bildmaterial bei der digitalen Kolorierung in seinem Bestand nicht angetastet – und dennoch scheint es sich nachhaltig zu verändern. Denn durch ihre neue Farbigkeit wirken die Fotografien und Filme ungleich lebendiger, sodass sie die Geschichte vor den Augen ihres Publikums wiederauferstehen zu lassen scheinen. Da die Kolorierung den Eindruck vermittelt, den Betrachtenden das Bildgeschehen näherzubringen, wird ihr das Potenzial zugesprochen, der Vergegenwärtigung der Vergangenheit zuträglich zu sein. Doch schon lange bevor es technisch möglich wurde, Aufnahmen digital nachzubearbeiten, war Farbe in der Film- und Fotografietheorie umstritten. Von Siegfried Krakauer wurde sie etwa als eine »Zutat« betrachtet, der keinerlei Aussagekraft innewohne, und Roland Barthes hat sie sogar als »Tünche« bezeichnet, welche die Wahrheit der Fotografie zudecke.
FRANZ KONRAD (?), »Mit Gewalt aus Bunkern hervorgeholt«, 1943, Fotografie, 18 x 24 cm, © Getty Images.
Im Rahmen der Podiumsdiskussion »Farbe bekennen?« setzen sich Peter Geimer und Wolfgang Ullrich mit den ethischen Implikationen der Nachkolorierung auseinander. Im Mittelpunkt der Debatte steht dabei die Frage, wie mit Archivmaterial umgegangen werden sollte. Lässt sich der Vergangenheit nur aus kritischer Distanz nachgehen oder ist eine einfühlende Annäherung bei ihrer Rezeption unabdingbar? Sollten geschichtliche Zeugnisse in jenem Zustand betrachtet werden, in dem sie historisch überliefert wurden oder liegt es in der Verantwortung der Nachwelt, das Andenken der Vergangenheit zeitgemäß zu gestalten? Wäre es zudringlich, womöglich gar ungebührend historischen Aufnahmen, um ihrer Vermittelbarkeit Willen, Farbe zu verleihen oder ist es moralisch geradezu geboten, die Schrecken der Geschichte vor dem Verblassen zu bewahren, auf das die Zukunft besser werde?
Prof. Dr. Peter Geimer ist seit 2010 Professor für Neuere und Neueste Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin und hat im Oktober 2022 die Leitung des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris übernommen. Zu seinen Forschungsgebieten gehören die Theorie und Geschichte der Fotografie, die visuelle Darstellung von Vergangenheit und die Wissenschaftsgeschichte. Zuletzt erschien seine Studie Die Farben der Vergangenheit. Wie Geschichte zu Bildern wird, in der er sich unter anderem mit der Nachkolorierung historischer Fotografien und Filme auseinandersetzt.
Prof. Dr. Wolfgang Ullrich war von 2006 bis 2015 Professor für Kunstwissenschaft und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe und ist seither freiberuflich als Autor, Kulturwissenschaftler und Berater tätig. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Kritik des Kunstbegriffs, die Ästhetik des Konsums sowie Phänomene der Bildsoziologie. Zuletzt veröffentlichte er den Essay Die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie, in dem er unter anderem dafür plädiert, bei der Repräsentation der Geschichte den Bedürfnissen der Gegenwart Rechnung zu tragen.
Die Podiumsdiskussion wird von Oliver Krätschmer moderiert und von der Forschungsgruppe »Geschichtsbilder in der Gegenwartskunst« organisiert, geleitet von Prof. Dr. Melanie Franke und finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds.
Die Teammitglieder sind: Marie Egger, Melanie Franke, Ulrike Gerhardt, Anna Leonie Grimm, Verena Kittel und Oliver Krätschmer.
PROJEKTWEBSEITE
www.gbgk.de
ANMELDUNG
Interessierte melden sich bitte bis spätestens 11. Juli 2023
unter der E-Mail-Adresse oliver.kraetschmer@uni-potsdam.de für die Teilnahme an der Podiumsdiskussion an.
Die Teilnehmer*innenzahl ist begrenzt.
DANK
Antje Schötz
Andrea Molz-Gerhard
Mit freundlicher Unterstützung von